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Forschung

Müssen das noch Menschen machen?

Videoquelle: Hannes Gilch, RWU

Seit August 2025 ist Professor Dr. Wolfram Höpken von der RWU Hochschule Ravensburg-Weingarten als einer von drei „Editors in Chief“ des Journals „Information Technology & Tourism“ tätig, ein wissenschaftliches Journal des Springer Nature Limited-Verlags mit Sitz in London. Im Interview spricht er über diese neue Aufgabe und über seine eigene Forschung. Er analysiert beispielsweise mit Instagram-Daten das Profil touristischer Destinationen. 

Hannes Gilch: Was ist die Aufgabe eines Editors in Chief bei einem wissenschaftlichen Journal? 

Prof. Dr. Wolfram Höpken: Eine wichtige Aufgabe ist es, den Review-Prozess zu organisieren. Dabei handelt es sich um ein Qualitäts­sicherungs­verfahren, das dazu dient, die fachliche Güte eines eingereichten Manuskripts, einer Submission, zu prüfen, bevor es veröffentlicht wird.
Es fallen derzeit über 1.000 Submissions pro Jahr bei uns an. Diese müssen zunächst einmal gesichtet werden. Bei sogenannten Desk-Rejections prüfen Editors in Chief in erster Instanz, ob die Submissions relevant für das Journal sind und ob das Qualitätsniveau ausreicht. Falls ja, laufen sie weiter zu den Associate Editors, die den Review-Prozess dann operativ steuern. 
Dann werden Reviewer*innen zugeordnet, die entsprechend Feedback geben. Das läuft alles im sogenannten Double Blind-Prozess ab. Das ist eine Form des Begutachtungsverfahrens, bei dem weder die Autor*innen wissen, wer ihre Arbeit begutachtet, noch die Gutachter*innen wissen, von wem der eingereichte Beitrag stammt. Am Ende muss entschieden werden, ob das Ergebnis passt, ob es wirklich publiziert wird. 
Eine weitere wichtige Aufgabe ist natürlich auch die Entwicklung der Strategie des Journals, also die inhaltliche Ausrichtung. Welche IT-Themen möchte man stärker bespielen? Alles das muss gemanagt werden.

Treffen sich die Editor*innen?

Das Management läuft komplett online, weil das Team sehr interdisziplinär und international ist. Die eingehenden Papiere werden thematisch aufgeteilt. Springer hat ein relativ ausgefeiltes Onlinesystem, über das alles gemanagt wird. 

Wie viele Publikationen bearbeiten Sie pro Semester? 

Als einer von drei Editors in Chief bin für den IT-Bereich zuständig. Pro Jahr habe ich etwas 500 bis 700 Publikationen zu reviewen. Wobei Review nicht heißt, dass man das Papier komplett lesen muss. Es geht nur um die Desk Rejection, also um die Erstbegutachtung, ob das Papier überhaupt infrage kommt. Den kompletten Review machen später die Reviewer*innen. Aber ich muss zunächst prüfen, ob das Papier überhaupt den Mindeststandards genügt.

Müssen das noch Menschen machen?

Das ist ein heiß diskutiertes Thema. Genauso wie die Frage, ob nicht auch Autoren KI einsetzen – womöglich sogar in nicht mehr zulässigem Ausmaß. Oder ob nicht komplett KI-generierte Papiere eingereicht werden. Natürlich kann KI zwar Texte schön zusammenfassen, aber KI kann nicht beurteilen, ob etwas wissenschaftlich Sinn macht oder nicht. So weit ist KI noch nicht. Also das muss derzeit immer noch ein Mensch beurteilen: Ist das sinnvolle Forschung, hat das Substanz? 

Wie groß ist diese Verantwortung?

Man ist letztlich dafür verantwortlich, ob Forschungspapiere angenommen werden oder nicht. Wissenschaftler*innen investieren viel Zeit, viel Arbeit. Da darf man nicht willkürlich Entscheidungen treffen. Und man steuert auch ein Stück weit, weil man Themen priorisieren kann, die letztlich publiziert werden. Das hat natürlich eine gewisse Auswirkung. 

Ist die operative Arbeit vergleichbar mit der einer Nachrichtenredaktion?

Genau, wir arbeiten eigentlich wie eine Redaktion – nur eben auf wissenschaftlicher Ebene. 

In welcher Sprache arbeitet die Redaktion?

Das ist alles auf Englisch heutzutage. Es gibt im wissenschaftlichen Bereich – speziell auch im Tourismus – auch kaum noch deutsche Journale.

Warum ist das so? 

Die Forschungscommunity ist in allen Bereichen so international geworden, dass man mit Deutsch einfach nicht mehr die ganze Zielgruppe erreichen kann.

Wir wird man eigentlich Editor-in-Chief eines Wissenschaftsjournals?

Ich bin seit rund 25 Jahren in einer Community, die auch dieses Journal unterstützt. 2010 habe ich dann angefangen, als Mitglied des Editorial Boards mitzuarbeiten, in welchem derzeit rund 44 Forschende vertreten sind. Seit 2019 war ich Associate Editor. Und jetzt bin ich Editor in Chief geworden. 

Welche Bedeutung hat das für die RWU?

Es ist ein hochgeranktes Journal und ist im Q1-Sektor in mehreren Bereichen gerankt. Es ist nicht gerade selbstverständlich, dass man dort als Fachhochschulprofessor Editor-in-Chief wird. Das ist für die Reputation der Hochschule auf jeden Fall wichtig – gerade auch, um Forschungsstärke zu demonstrieren. 

Woran forschen Sie persönlich? 

Meine Hauptbereiche sind Data Science und Datenanalysen im Tourismus, also die Anwendung von Machine Learning-Verfahren, Big Data Analysen und KI im Tourismussektor.
Da haben wir schon verschiedene Analysen durchgeführt, zum Beispiel Instagram-Daten analysiert. Wir haben kürzlich zwei Publikationen gemeinsam mit Studierenden veröffentlicht, in welchen wir aus Instagram-Daten Destinationsprofile abgeleitet haben. Wir haben untersucht, wie Destinationen sich mit Bildern auf Instagram darstellen und wie Personen diese Destination wahrnehmen durch die Bilder, die sie hochgeladen haben. So konnten wir messen, ob die Selbstdarstellung identisch ist zur Fremdwahrnehmung.

Wie genau können Sie diese Differenz messen? 

Die Bilder werden klassifiziert in Themen, die dort abgebildet sind, wie beispielsweise Natur, Wasser, Freizeitaktivitäten oder Nightlife. Und das haben wir auf beiden Seiten gemacht: mit Bildern, die Tourist*innen hochladen und mit den Bildern, welche die Destinationen von sich hochladen. So konnten wir vergleichen, ob diese Profile auf beiden Seiten übereinstimmen oder ob es ein Mismatch gibt. 

Kann ein Mismatch auch zu einer Handlungsempfehlung werden? 

In der Regel ja. Dann wäre es eine Empfehlung, dass die Destination prüfen muss, ob sie überhaupt die richtigen Motive bewirbt. Vielleicht werden diese Motive, die von der Destination kommen, von den Touristen gar nicht so wertgeschätzt. Das wäre in diesem Fall ein guter Input fürs Tourismusmarketing, um die Marketingaktivitäten zu verbessern.
Ein Mismatch kann im Einzelfall aber auch gewünscht sein. Wenn Mallorca zum Beispiel sagt, es möchte sein touristisches Profil verändern, kann es durchaus gewünscht sein, dass es einen Mismatch gibt.

Halten Sie es für möglich, dass solche Forschungsergebnisse verwendet werden könnten, um Tourismus zu steuern? 

Auf jeden Fall. Wenn ich bewusst andere Themen bewerbe, dann könnte ich mit solchen Techniken sehr schön nachvollziehen, wie stark diese neuen Themen angenommen werden. Irgendwann sollte dieses Mismatch natürlich wieder kleiner werden. Wenn ich bewusst andere Themen bewerbe, sollten die Touristen ja auch nachziehen. Wenn sie das nicht tun, dann merke ich, dass diese neuen Themen vielleicht gar nicht angenommen werden.

Warum ist Forschung für eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften grundsätzlich wichtig? 

Die Studierenden merken ja, ob man sich auch mit der Forschung auskennt. Und auch für die Studierenden ist Forschung ein sehr spannendes Feld. Ich denke, es ist wichtig, neben der Lehre auch zu forschen, damit man als Professor auch Forschungserkenntnisse in die Lehre einbauen kann. So kommen die Inhalte nicht nur aus Lehrbüchern, sondern auch entweder aus der Praxis oder eben aus echten Forschungserkenntnissen. Das macht authentische Lehre für mich aus. 

Text:
Hannes Gilch